Pressemitteilung
Eskapismus, Erfolgsstreben, Exploration: Warum, wie oder in welchen Kontexten spielt der Mensch? Wie wird er gespielt? Und wie werden Protagonist*innen in Spielen dargestellt? Die Ausstellung Choose your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel befasst sich im Zeppelin Museum Friedrichshafen mit dem Phänomen des Spiels als Kulturmedium zur Gegenwartsflucht und Immersion. Sie erforscht Spielräume von Identität, untersucht, wie Spiele Machtverhältnisse zwischen Widerstand, Propaganda und Krieg aufgreifen sowie ihren Beitrag zur Zukunftsgestaltung und Entstehung neuer Gemeinschaften. Zeppelinspiele aus der eigenen Techniksammlung vom frühen 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart werden Werken zeitgenössischer Künstler*innen sowie Gamingklassikern von Spielbrett bis Konsole gegenübergestellt und kritisch eingeordnet. Ganz im Stil von Rollenspielen entscheiden sich Besucher*innen für einen von fünf Charakteren – Entdecker*in, Wissenschaftler*in, Journalist*in, Hacker*in oder Kind – dessen Auswahl ihren Rundgang durch die Ausstellung beeinflusst. Neben dem individuellen Soloabenteuer stehen Diskurs, Immersion und natürlich das Spielen selbst im Fokus.
Der Mensch spielt, weil es Spaß macht, um sich zu messen, um zu lernen oder um mit anderen zusammenzukommen. Durch neue Technologien und Medien entstehen immer umfangreichere und komplexere Spielwelten. Die Ausstellung Choose Your Player. Spielwelten von Würfel bis Pixel, die vom 17.5.2024 bis 27.4.2025 im Zeppelin Museum Friedrichshafen zu sehen ist, lädt Besucher*innen dazu ein, ihren Blick auf das Spielen als wesentliche Kulturtechnik unserer Zeit zu schärfen, selbst aktive*r Gamer*in zu werden oder mit der Brille ihres gewählten Rollenspielcharakters in die Welt des Gaming einzutauchen. Ausgehend von klassischen Brett- und Würfelspielen über Computer-, Konsolen- und VR-Games untersucht die interdisziplinäre Ausstellung, wie sich Spiele entwickelt haben, welche Bilder und Mechanismen hinter ihnen stecken, wie sie die Gesellschaft beeinflussen, aber auch von ihr beeinflusst werden. Bereits ab dem frühen 20. Jahrhundert nehmen Zeppeline Einzug in Quartette, Würfel- und Brettspiele. Thematisch galten sie als neue, überragende Technologie und waren beliebtes Motiv oder Spielfigur in Kriegsspielen des Ersten Weltkriegs. Bedeutsame Ereignisse wie die Weltfahrt 1929, der Atlantikverkehr oder die Arktisfahrt 1931 wurden in ihnen verarbeitet. Die Faszination hält bis zu heutigen massenmedialen Spielen an: Luftschiffe finden sich in modernen Kriegs- und Widerstandsszenarien wie im Ego-Shooter Battlefield 1, in kontrafaktischen Szenarien wie Wolfenstein oder im Rollenspiel Fallout 4. Im Serious Game Through the Darkest of Times koordinieren Spieler*innen eine Widerstandsgruppe im Dritten Reich, inklusive Mission auf dem Luftschiff LZ 129 Hindenburg.
Let’s Plays und Gaming-Lotsen nehmen Besucher*innen in der Ausstellung an die Hand, Spiele und ihre Mechanismen werden erklärt, Luftschiffe und Szenarien von Expert*innen der Zeppelinabteilung und der Gaming-Community kontextualisiert. In verschiedenen Nischen kann im Single- oder Mehrplayermodus auf großflächigen Projektionen, am PC, am Tablet, an Tischen und in der virtuellen Realität sitzend, stehend und tanzend gespielt werden. Originalexponate der Zeppelinsammlung ab dem frühen 20. Jahrhundert werden nicht nur ausgestellt, sondern als Faksimile erneut spielbar. Dass Spiele auch Kunst sein können und Kunst zum Spiel wird, zeigen die immersiven künstlerischen Werke der Ausstellung, die Spaß bieten, Themen vertiefen, Kritik üben und Perspektiven erweitern.
Spielplätze: Hey, let’s play!
Spiele erlauben es, andere Perspektiven einzunehmen und unterschiedliche Rollen zu erproben. Die Mechaniken und Spielprinzipien sind dabei vielfältig. Im Falle von Survival-Games, Geschicklichkeits- und Geduldsspielen wie Getting Over It with Bennett Foddy oder Frostpunk verlangen sie von Spieler*innen eine hohe Frustrationstoleranz. Im E-Sports-Klassiker Dota 2 sind Reflexe und strategische Fähigkeiten gefragt, beim Publikumserfolg des letzten Jahres Baldur’s Gate 3 ist bei hunderten Stunden Spielzeit wahre Ausdauer nötig. Künstler*in LuYangs LuYang NetiNeti Arcade lädt in eine immersive Spielhalle ein, die von Anime, Science-Fiction, Buddhismus und Neurowissenschaften inspiriert ist. Zwischen Spielautomaten, Tanzstationen und Motorradrennsimulatoren tauchen Besucher*innen in fantasievolle Spielwelten ein. Visionäre Avatare, surreale Gottheiten und groteske Anime-Charaktere ermutigen dazu, binäre Zuschreibungen von Identität, Nationalität und Geschlecht aufzugeben und das Dasein als Mensch zu hinterfragen.
Machtspiele: Power Plays!
Welches Wirtschafts- und Fortschrittsbild steckt hinter Manager- und Aufbauspielen? Wie beeinflusst ein Spiel wie Anno 1800 unser Geschichtsbild? Wie authentisch sind die vermittelten Bilder und was lösen sie bei Spieler*innen aus? Durch die Perspektive des Spielens werden gesellschaftliche und politische Konfliktkonstellationen durch den oft immersiven Charakter von Spielen nicht nur theoretisch, sondern auch emotional erlebbar. Als Waren und Massenmedien zementieren Spiele Machtverhältnisse, da sie für kommerziellen Erfolg die Erwartungen der Mainstreamkultur bedienen müssen. Diese Abhängigkeit wird deutlich, wenn man untersucht, welche Charaktere, Rollen und Identitäten in Spielen vertreten sind. Der britisch-ghanaische Künstler Larry Achiampong führt diese Dynamik in seiner Arbeit Mama’s Bootleg Fight Club vor Augen. Seine ghanaischen Wurzeln sind für ihn der Ausgangspunkt, Whitewashing, rassistische und geschlechtsspezifische Vorurteile in der Programmierung und Darstellung ikonischer Gamingcharaktere in Computer- und Konsolenspielen zu hinterfragen. In seiner Gemäldeserie deutet er problematische, stark stereotypisierte Figuren um und verleiht ihnen eine neue Bestimmung und Mission.
Erweiterte Horizonte: Let’s set Sail!
Exploration in Spielen ist als Motiv und Spielmechanik weit verbreitet. Eine besondere Form nimmt sie im Genre der Survival-Spiele an, wo das Überleben in bedrohlicher Umgebung im Vordergrund steht. In einigen dieser Szenarien bieten Luftschiffe eine Chance, der Apokalypse zu trotzen. Afrah Shafiqs Arbeit Where Do the Ants Go? beleuchtet die Überlebensstrategien einer vom Klimawandel gebeutelten Ameisenkolonie und verknüpft sie mit ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer menschlichen Gesellschaft. Inspiriert vom Kult-Videospiel Minecraft lässt die indische Künstlerin Besucher*innen durch ihre Eingaben das Verhalten einzelner Ameisen und somit das Wohlbefinden der ganzen Kolonie beeinflussen.
Neue Gemeinschaften: Let’s build together!
Einige Spiele schaffen ihre eigenen (Meta-) Universen und fungieren als Plattformen für Konzerte, Veranstaltungen, Treffpunkte oder als Basis für Geschäftsideen. Spiele können zum Katalysator für neue Zukunftsvisionen und alternative Lebens- und Gesellschaftsformen werden. Im Controller-Game Morphogenic Angels: Chapter 1 – Omoiyari des Künstlerinnenkollektivs Keiken ist es eine Zukunft, in der Menschen durch organische Veränderungen transhumane Fähigkeiten erlangt haben. Als sogenannte Engel leben sie über hunderte Jahre hinweg und greifen auf das Bewusstsein aller Arten zurück: das der Vorfahren, der Natur, der Außerirdischen, der Tiere, der Zellen und des Kosmos. In einem Bällebad ruhend tauchen Besucher*innen physisch in das immersive Spiel ein, können ihr Abenteuer Revue passieren lassen und sich langsam von der Rolle lösen, in der sie die Ausstellung erkundet haben.
Szenografie und Nachhaltigkeit
Als wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsstrategie hat sich das Zeppelin Museum der klimafreundlichen Ausstellungsumsetzung verschrieben. Das in Berlin ansässige Szenografiebüro chezweitz hat sich der Herausforderung einer nachhaltigen Ausstellungsgestaltung für Choose your Player angenommen, immateriell und reduziert geplant und dennoch ein starkes Raumgefüge für die Exponate, Kunstwerke und Games generiert. So wurden Wandbauten mit maximal reduziertem Materialeinsatz als offen durchlässige Rahmenarchitektur realisiert, die Ausstellungsräume mit nackten Profilen rhythmisch strukturiert, konsequent das Prinzip der Wiederverwendung von vorhandenem Ausstellungsinventar organisiert und das überwiegend recyclefähige Material kann in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden. Trotz Reduktion finden sich Besucher*innen in einer leuchtend abstrakten, dichten Ausstellungswelt wieder. In der werkstattartigen Erdgeschossfläche entsteht im Zusammenspiel aus metallisch reflektierenden Trockenbauprofilen, rhythmisierend leuchtenden Lichtlinien und einer Raumfassung in tiefem Nachtblau ein immersiv wirkender Gamespace mit farbig intensiv leuchtenden Objekt- und Spielfeldern. Im klassisch museal wirkenden 2. Obergeschoss hingegen transformiert sich die neonfarbig strahlende Raumgrafik in zart schwebende Lichtflächen, die mittels heller Vollholz-Rahmenbauten in ein strukturelles Spielfeld überführt werden.
Soloabenteuer und debatorial®: Choose your Adventure!
In Kooperation mit den Pen-&-Paper-Rollenspielexpert*innen von Orkenspalter TV entstanden fünf individuelle Soloabenteuer, die ausstellungsbegleitend analog oder digital im debatorial® des Zeppelin Museums gespielt werden können. Sie nehmen Besucher*innen mit in eine Steampunk-Welt im Jahre 2060, in der die Erdoberfläche kaum noch bewohnbar ist. Tapfere Agent*innen der Organisation N.E.M.O. versuchen, mit einem zeitreisefähigen Luftschiff den Schaden zu beheben. Ganz im Stil von Rollenspielen entscheiden sich Besucher*innen für einen von fünf Charakteren – Kind, Journalist*in, Hacker*in, Wissenschaftler*in oder Entdecker*in – der im debatorial® individuell gestaltet werden kann und dessen Auswahl ihren Rundgang durch die Ausstellung beeinflusst.
Seit 2009 bilden Mháire Stritter und Nico Mendrek Orkenspalter TV und berichten aus der Rollenspiel-, LARP- und Comic-Szene oder produzieren und leiten Pen-&-Paper-Abenteuer an, zuletzt für den ersten live Tatort auf dem ARD-Twitch-Kanal.
Begleitprogramm zur Ausstellung
Im ZeppLab des Zeppelin Museums wurde in Kooperation mit Call of Quest ein Escape-Room installiert, der Besucher*innen zum Rätseln in der Gruppe, Familie oder mit Freund*innen einlädt. Inhaltlich dreht sich alles um das Thema Zeppeline – alles Weitere ist streng geheim!
Außerdem ergänzt das Begleitprogramm die Ausstellung inhaltlich und spielerisch. So wird die Ausstellungsfläche im Rahmen der World Game Series einmal im Monat dazu genutzt, um Spiele aus aller Welt vorzustellen. In Kooperation mit städtischen Vereinen aus Friedrichshafen lernen Besucher*innen neue Spielewelten kennen und probieren sie gemeinsam aus. Die Vortragsreihe OPEN HOUSE! befasst sich unter anderem mit Gaming und Inklusion, mit dem Spiel als Kulturgut zum Dialog mit der Welt sowie mit Zeppelinspielen – oder: wie man sich durch den Luftkrieg würfelt. An verschiedenen Wochenenden lädt das Zeppelin Museum zum Pub-Quiz, FIFA-Turnier während der EM 2024 oder zum Mario-Kart-Event mit Livemusik ein, es wird einen LIT WALK mit Lesung von Tonio Schachinger geben und eigene Pixelbilder mit Gaming-Charakteren oder Luftschiffen können in Workshops gebastelt werden. Am Weltspieletag und Weltkindertag wird gemeinsam gespielt, es geht mit einem Lego-Rampen-Workshop in den Stadtraum und auch beim Kulturufer in Friedrichshafen wird das Zeppelin Museum mit spielerischen Inhalten und Workshops dabei sein. In Kooperation mit der Wissenswerkstatt Friedrichshafen werden Spielfiguren gegossen oder Computerspiele mit Scratch erstellt. Bei drei Game On! Events mit Mháire von Orkenspalter TV wird das Pen-&-Paper-Rollenspiel rund um N.E.M.O., das eigens für die Ausstellung entwickelt wurde, nicht nur live im Museum angeleitet und gespielt, sondern auch auf Twitch übertragen.
Künstler*innen: Larry Achiampong, Keiken, LuYang, Afrah Shafiq
Games (Auswahl): Airships – Northpole Quest, Anno 1800, A Normal Lost Phone, Battlefield 1, Celeste, Cloudage, Der Luftkrieg, Dota 2, Durch die Luft, Europa-Reise, Fallout 4, Frostpunk, Getting Over It with Bennett Foddy, Keep Talking and Nobody Explodes, Mario Kart, Portal, PowerWash Simulator, Roblox, Super Mario World, Terra Nil, Through the Darkest of Times, Unravel 2, Viewfinder, Wolfenstein, World of Warcraft, Zeppelin Attack, Zeppelin – Giants of the Sky u.v.m.
Kurator*innen: Claudia Emmert (Direktorin), Jürgen Bleibler (Leitung Abteilung Zeppelin), Mara-Johanna Kölmel (Leitung Abteilung Kunst), Felix Banzhaf (Wissenschaftlicher Mitarbeiter Abteilung Zeppelin) und Stephanie Milling (Wissenschaftliche Mitarbeiterin Abteilung Kunst)
Mit Dank an: gamelab.berlin, Orkenspalter TV, Copperfield Gallery, Zabludowicz Collection